3
oft sind die Eltern leider geneigt, ihren konfirmierten Söhnen und
Töchtern die volle Freiheit weltlichen Genusses der Erwachsenen
zu gewähren. Dazu haben die veränderten sozialen Zustände
das patriarchalische Verhältnis zwischen Lehrherrn und Lehrlingen
längst gelöst. Die Statistik über Kriminalvergehen läßt denn
auch gerade die Zeit vom 14. bis zum 18. Lebensjabre als die-
jenige erkennen, welche die größte Gefahr der Verwilderung und
des sittlichen Verfalls in sich birgt. Kein Wunder! Kein Mensch
ist heute so ungebunden wie die aus der Volksschule entlassene
Jugend. Die übrige Jugend genießt in den höheren Unterrichts-
anstalten die Segnungen erziehlicher Einwirkung. Die Erwachse-
nen sind durch ihren Beruf in bestimmte Schranken der Sittlich-
keit gewiesen, die sie ohne Schädigung ihrer eigenen Erwerbsver-
hältnisse nicht übertragen dürfen. Die Lehrlinge und die
jugendlichen gewerblichen Arbeiter aber sind bis zum Eintritt in
das Heer, also in der schlimmsten Zeit der Entwicklung größten-
teils sich selbst haltlos überlassen. Und die Folgen? Schon bei
vielen 15—16 jährigen Burschen gilt regelmäßiger Alkohol- und
Tabaksgenuß als Bedürfnis, Kartenspiel und Teilnahme an
Tanzlustbarkeiten als selbstverständlich, schlüpfrige, unsaubere
Unterhaltung als erlaubte Freiheit, Pietätlosigkeit gegen das Alter
als Heldentat.
„Das Jünglingsalter ist die Zeit, in der es in den Gemütern
gärt und brodelt. Tausend Fragen bewegen das Herz, ein Heer
ungelöster Rätsel stürmt auf das jugendliche Gemüt ein, das so
oft in Zwiespalt gerät. Von der Antwort aus diese Fragen, von
der Lösung dieser Rätsel hängt die künftige Lebensrichtung des
jungen Menschen ab." Und in dieser Jugend liegt die Zukunft
der Nation! Jeder hat den innern Kampf, der für Gesinnung
und Charakterbildung notwendig ist, durchgekämpft. Sollen diese
Jungen mit dem empfänglichen Herzen in diesem Kampfe unter-
gehen, sollen sie verbittern, unzufrieden werden mit sich und der
Welt? Der Jüngling fühlt, denkt und handelt nicht sozial; sein
eigenes individuelles Interesse steht voran; von der Gesellschaft,
in welcher er steht, hat er kein klares Bild, das Volksbewußtsein
ist noch nicht erwacht; die Einsicht von der kulturellen und
nationalen Bedeutung der Arbeit fehlt ganz. Darum handelt er
auch so, wie es seinen Trieben und Neigungen entspricht, ist leicht
agitatorisch auszubeuten, von anderen Meinungen zu beein-
siussen, für utopistische, egoistische Pläne leicht zugänglich, steht
oberflächlichen, leichtsinnigen Beurteilungen traditionell geheiligter
Volkssitten, Volkstugenden, segensreicher Einrichtungen urteilslos
gegenüber. Und wenn man bedenkt, daß ein solches unreifes
Mitglied ohne soziale Einsicht, ohne nationales Bewußtsein der-
einst berufen ist, mit dem Stimmzettel in der Hand das er-
i*
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T52: [Mensch Leben Volk Gott Geist Zeit Religion Mann Glaube Herz], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung]]
TM Hauptwörter (200): [T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T59: [Tod Leben Volk Herz Freund Mann Wort König Tag Feind], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt]]
4
Habenste Recht jedes Staatsbürgers an der Wahlurne auszuüben
und das Geschick seines eigenen Volkes, dessen Lebensbedingungen
es nicht kennt, lenken zu helfen, dann erwächst der Gesamtheit
die Pflicht, dafür zu sorgen, daß ihr Glieder zugeführt werden,
die geeignet und gewillt sind, das Staatswohl zu erhalten und
zu fördern.
Aber nicht nur aus staatsbürgerlichen Gründen, sondern
auch um des Gewerbes selber willen ist erziehliche Einwirkung
nötig. Der wirtschaftliche Wettkampf auf gewerblichem Gebiete
wird da siegreich sein, wo Arbeiter und Bürger gründlich durch-
gebildet sind, wo technische Geschicklichkeit sich mit Geschmack und
klarer Einsicht paart. Daß die rein technische Ausbildung heut-
zutage für die gewerbliche Erziehung nicht mehr genügt, wird
kaum bestritten werden können; mehr als je ist heute dem Ge-
werbe kaufmännische und, wie Kerschensteiner sagt, wirtschaftliche
Einsicht nötig; der Wettkampf gegen den Großbetrieb kann aus-
sichtsreich nur geführt werden, wenn man dessen Organisation
und Leitung sich zum Muster nimmt, wenn man sich durch ge-
nossenschaftlichen Zusammenschluß gegenseitig anregt, fördert,
materiell unterstützt." Dazu ist vor allen Dingen ein werktätiger
Gemeinsinn nötig, der sich über kleinliche egoistische Rücksichten zu
erheben vermag. Dazu muß unsere Jugend erzogen werden.
Die rein technische Ausbildung in Werkstatt und Fabrik muß
ihre notwendige theoretische Ergänzung und Beleuchtung finden;
die Kenntnis der Geheimnisse von Material und Werkzeug, von
seinen Kräften und Beziehungen zu Natur und Menschenhand
muß zu einem denkenden Beobachten, zu einer verständigen Be-
handlung, die Einsicht in den Kulturwert der Arbeit und ihrer
Produkte und ihren Beziehungen zu den Bedürfnissen der Men-
schen zu einer verständigen Auffassung ihrer Lebensaufgaben
führen; die Kenntnis von den Existenzbedingungen und der Be-
deutung von Gesellschaft und Staat ist nötig, um zielbewußt die
eigene Existenz sicherstellen zu können. — Darum ist die plan-
mäßige Erziehung des gewerblichen Nachwuchses nötig, und es
war ein glücklicher Gedanke, in die Lücke zwischen Schulentlassung
und Heeresdienst die Fortbildungsschule als Erziehungsfaktor
einzuschieben.
Nach den bisherigen Ausführungen ist das Ziel der er-
zieherischen Tätigkeit der Fortbildungsschule ein zweifaches: ein
rein individuelles berufliches, das sich in der Richtung auf das
2. Ziel, das nationale fortbewegt und darin seine natürliche
Vollendung findet.
Zur Erreichung dieses Zieles stehen der Fortbildungsschule
2 Mittel unmittelbar zur Verfügung: Zucht und Unterricht!
chon die ^äußere gewerbliche Gliederung der Schule birgt ein
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet]]
7
„Der Mensch darf nicht im Lehrling, der Staatsbüger nicht im
Arbeiter untergehen."
Gewiß, der Unterricht muß zunächst das Berufsinteresse des
Schülers berücksichtigen, dann aber auf das Interessengebiet der
Gesamtheit, des Staates hinüberleiten.
Hieraus ergibt sich auch schon mit Rücksicht auf die knapp
bemessene Unterrichtszeit die Notwendigkeit der Beschränkung der
Unterrichtsfächer und ihre Unterordnung unter das Hauptfach,
das die „Bestimmungen" mit dem Sammelnamen „Berufs- und
Bürgerkunde" bezeichnen. Dieses Fach, an das sich alle anderen
Unterrichtsfächer anlehnen, steht im Mittelpunkte des Unterrichts,
woraus sich schon aus unterrichtlichen Gründen die Forderung
ergibt, den gesamten Unterricht einer Klasse wenn irgend möglich
in eine Hand zu legen.
Unter „Berufs- und Bürgerkunde" ist die Zusammenfassung
sowohl der technologischen als auch der volkswirtschaftlichen, ge-
setzes- und bürgerkundlichen Belehrungen zu verstehen. Es handelt
sich hierbei einmal um die persönlichen Verhältnisse des Lehrlings,
Gesellen und Meisters (Berufswahl, Rechte und Pflichten, Ge-
sellenprüfung, Wanderschaft, Meistertitel, Geschäftsbetrieb usw.),
sodann um die technologischen Berufsverhältnissc (wie Werkstatt,
Werkzeuge und Maschinen, Arbeitsmaterialien, Arbeitsweisen usw.)
und endlich um die nationalen Beziehungen des fünfttgen Hand-
werks (Beziehungen zur Gesellschaft, zu Gemeinde und Staat).
Die persönlichen Verhältnisse des Schülers als Lehrling
nötigen zu einer Besprechung der rechtlichen Grundlagen seiner
Stellung zum Lehrherrn, um Rechte und Vorteile, aber auch
Pflichten genau kennen zu lernen. Hierbei kommt es besonders
darauf an, dem Schüler die ethischen Momente vor Augen zu
führen, die den Gesetzgeber geleitet haben; ihm klar zu machen,
wie das Gesetz ihn, den wirtschaftlich Schwachen, schützen und
stützen will. So wird ihm der innere Zusammenhang seiner
Person und seines Berufes mit Staat und Gesellschaft und seine
Abhängigkeit von diesen großen Organisationen klar. Aus dieser
Einsicht mutz folgerichtig die Überzeugung von der Notwendigkeit
der Erhaltung dieser staatlichen Einrichtung sich entwickeln und
schließlich den Schüler zu der Erkenntnis sittlicher Pflichten
führen, die er zu betätigen hat. Hier hat es der geschickte Lehrer
in der Hand, Begriffe, auf die sich das gesetzliche Lehroerhältnis
stützt (wie Treue, Ehrlichkeit, Gehorsam, Achtung, Wohlanständig-
keit, gute Sitte) lebendig zu veranschaulichen. Hier muß ent-
wickelt werden, wie gerade diese Tugenden unerläßlich nötig sind,
um die kleine soziale Gesellschaft zwischen ihm, Meister und Arbeits-
genossen zu erhalten und zu fördern, wie umgekehrt Diebstahl,
Üntreue, Unehrlichkeit, Nachlässigkeit, Ungehorstnn, überhaupt jede
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend]]
TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital]]
9
wirkungsvoll sind diese, wenn die Männer demselben Berufe an-
gehören, den der Schüler sich erwählt hat. Männer wie Borsig,
Krupp, Krause, Stephenson, Schichau usw. sind für den angehen-
den Handwerker Vorbilder charaktervoller Standesgenossen, die
ihn lehren, edel, hilfreich und gut zu sein, deren Lebensgang
zeigt, wie mit geistigen und sittlichen Kräften ein gestecktes Lebens-
ziel erreicht wird.
Der gewerbekundliche Unterricht wird auch die Geschichte
des Handwerks berücksichtigen müssen und zwar deshalb, weil
auch diese reich an Momenten ist, die das Gemüt des Schülers
anregen und befruchten. Handwerkstugend, Handwerksart, Hand-
werksrecht gepaart mit Bürgersinn und Vaterlandsliebe werden
dem Schüler vor die Seele geführt.
Kerschensteiner sagt: „Das Leben der Zünfte im Mittelalter,
ihr Aufblühen, ihr Niedergang, ihr Segen und ihr Fluch für den
einzelnen Gewerbeangehörigen, das Darniederliegen des gesamten
Gewerbes nach dem 30 jährigen Kriege, der allmähliche Aufstieg,
der neue Kampf im 19. Jahrhundert, all das enthält eine Fülle
von Momenten, die zweifelsohne eine starke Anziehungskraft auf
den Lehrling ausüben — denn die Geschichte hat immer etwas
Fesselndes für die Jugend. — Und Schritt auf Schritt begegnen
wir dabei den brennendsten sozialen Fragen des Arbeitsschutzes,
des Genossenschafts- und Gewerkschaftswesens, des Wohnungs-
wesens, Fragen der Verfassung und Gewerbegesetzgebung, der
Handels- und Verkehrsbeziehungen und zahlreichen Fragen allge-
meinen ethischen Charakters/'
Uber die Notwendigkeit gesetzeskundlicher Belehrungen, der
Verwaltung und Verfassung von Gemeinde, Staat und Reich,
die wir in den gewerbekundlichen Unterbegriff „Bürgerkunde" zu-
sammenfassen, brauche ich mich hier nicht zu verbreiten. Hier
kommt es darauf an, die sittlichen Kräfte nachzuweisen, die auch
in diesem Stoffe schlummern. Es handelt sich nicht allein darum,
durch Besprechung trockener gesetzlicher Materien Kenntnis von
den staatlichen Einrichtungen zu vermitteln, sondern vor allen
Dingen das Verständnis für die Grundlagen eines gesunden
Staatslebens zu wecken. Es ist leider Tatsache, daß gerade die
arbeitende Bevölkerung nationalem Denken und Fühlen ent-
fremdet wird, daß schiefe und verkehrte Auffassungen über staat-
liche Ordnungen und Maßnahmen verbreitet werden, daß die
großen Opfer, die der Staat für die Volkswohlfahrt bringt,
keinen sympathischen Widerhall finden, daß der Staat sich im
Gegenteil die absprechendsten Urteile und die gewissenloseste
Kritik seiner Einrichtungen gerade in den Kreisen gefallen lassen
muß, die unsere Jugend am meisten beeinflussen.
In dem Mangel an Einsicht in das moderne Leben liegt
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T43: [Zeit Volk Jahrhundert Geschichte Reich Staat Leben Kultur Deutschland Mittelalter], T4: [Handel Land Industrie Stadt Verkehr Gewerbe Ackerbau Viehzucht Deutschland Zeit]]
TM Hauptwörter (200): [T54: [Staat Zeit Volk Deutschland Leben Reich Jahrhundert Macht Entwicklung Gebiet], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
10
eine große Gefahr für Staat und Gesellschaft. Wenn der junge
Mann erkennen lernt, daß er mit der Eintragung seines Namens
in das Standesamtsregister unter den Schutz des Staates gestellt
wird, daß dieser ihn durch seinemedizinalbehörden gegen gesundheits-
schädliche Einflüsse zu schützen sucht, daß er ihn durch Schule und
Kirche erziehen und zu einem menschenwürdigen Dasein führen
will, damit er befähigt werde, wirtschaftlich tätig zu sein und
seine Bedürfnisse zu befriedigen, daß er ihn in seiner Erwerbs-
tätigkeit schützt und fördert, seine Person und sein Eigentum
schützt, daß zur Erhaltung des Staates und zur Förderung der
Volkswohlsahrt Opfer an Freiheit, persönlichen Rechten und
Geld nötig sind, daß unsere Väter ihr Gut und Blut dafür ein-
gesetzt haben, daß Vertreter der Staatsgewalt auch Menschen
sind, die irren können, daß sie sich aber von den besten Absichten
bei ihren Maßnahmen leiten lassen —, dann muß doch diese Er-
kenntnis zu der Überzeugung führen, daß der Staat der größte
Wohltäter jedes einzelnen Staatsbürgers ist. Und wenn die Be-
lehrung zu der Einsicht führt, daß man gegen L>taat und Gesell-
schaft nicht nur Rechte geltend zu machen, sondern auch Pflichten
zu erfüllen hat, daß das Wohl des Einzelnen im Wahle des
Ganzen begründet ist, dann muß doch diese Erkenntnis den
empfänglichen Schüler zu dem Entschlüsse führen: „Dieses
Land will ich achten, lieben und schützen!"
Besonders anregend wird man diese Belehrungen da gestalten
können, wo egoistische Interessen mit denen der Gesamtheit sich
berühren. Dies ist bei der Arbeiterversicherung der Fall.
So birgt beispielsweise die Invalidenversicherung einen
wahren Schatz ethischer Momente. Auch hier dürfen wir uns
nicht begnügen mit der trockenen Gesetzesmaterie, mit Beitrags-
und Rentenberechnungen, sondern wir müssen die sittlichen Grund-
lagen und Wirkungen heraussuchen und vertiefen.
Am besten wird davon auszugehen sein, wie es vor Jnkraft-
treten dieses Gesetzes in einer Arbeiterfamilie aussah, wenn ihr
Ernährer erwerbsunfähig wurde, wie oft sich das Sprichwort
bewahrheitete: „Es ist leichter, daß ein Vater 7 Kinder ernährt,
als 7 Kinder einen Vater!", wie dann infolge der kaiserlichen
Botschaft von 1889 das Gesetz entstand, entsprungen aus dem
edlen Bestreben, die sozialen Gegensätze zu versöhnen. Letztere
ganz beseitigen, wie verbohrte Einseitigkeit erstrebt, wäre gleich-
bedeutend mit Vernichtung unserer Kulturentwicklung. Es ist zu
zeigen, wie diese Versicherung zur materiellen Hebung der Ar-
beiter beiträgt. Zwar sind die Renten nicht hoch genug, um
alles Elend aus der Welt zu schaffen, aber der Vernichtung der
Existenz wird vorgebeugt, während früher die Armenunterstützung
erst nach Vernichtung der Existenz eintrat. Es ist der Nachweis
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit]]
11
zu führen, daß die Versicherung dem Arbeiter eine Versorgung
bietet, wie er sie sich aus eigener Kraft in seinen Verhältnissen
nicht schaffen kann, wie sie die schwersten Sorgen beseitigt.
Ferner ist hinzuweisen auf die Förderung der Gesundheit der
Versicherten durch vorbeugende Heilfürsorge, besonders durch
Bekämpfung der Lungenschwindsucht, die sich die Versicherungs-
anstalten durch Schaffung eigener Lungenheilstätten angelegen
sein lassen, um die Gesundheit und Erwerbsfähigkeit wieder her-
zustellen.
Es ist weiter zu zeigen, wie die Vorteile der Versicherung
mit denen des Sparens vereinigt werden insofern, als sie in
Fällen der Verheiratung weiblicher Versicherter oder in Todes-
fällen den Anspruch auf Rückerstattung der Beiträge unter ge-
wissen Voraussetzungen zuläßt; ferner, wie sie Besserung hygie-
nischer Verhältnisse erstrebt durch Schaffung von Arbeiterwoh-
nungen. Hier ist auch auf den wohltätigen Einfluß hinzuweisen,
den die Versicherung auf die Gemeinden ausübt, indem sie den
Bau billiger und gesunder Wohnungen, Anstellung von Gemeinde-
schwestern, Anlage von Erholungsplätzen, von Volksbüdern, Volks-
bibliotheken, Arbeitsnachweisen u. a. m. finanziell unterstützt, wie
also die Riesenkapitalien wieder zurückfließen in die Volkswirtschaft.
Weiter ist darauf aufmerksam zu machen, daß durch das Gesetz
die rechtliche Stellung des Arbeiters verbessert worden ist dadurch,
daß er jetzt ein klagbares Recht auf Unterstützung hat, die de-
primierende Nebenwirkung der Armenpflege also beseitigt ist. Vor
allem nimmt er selber teil an Verwaltung und Rechtsprechung,
wird ein gleichwertiger Faktor dem Arbeitgeber gegenüber, ist
also mitberufen zur Kultusarbeit der Gesamtheit und darf nicht
übersehen, daß diese Besserung seiner sozialen Stellung eine
Frucht dieses Gesetzes ist. Voraussetzung zu dieser Mitarbeit ist
der Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte; so liegt auch hierin ein
sittlicher Anreiz.
Wenn der junge Mann einsehen lernt, wie groß die soziale
Bedeutung gerade dieses Gesetzes ist, wie er sich Vorteile sichern,
vor Nachteilen sich schützen kann, dann muß ihm diese Gabe als
ein hohes nationales Gut erscheinen, das auch sein Eigentum
werden soll, eine Gabe seines Volkes, gegeben aus liebevollem
sozialen Empfinden. Ihm muß doch dann zum Bewußtsein
kommen, daß die Wohltaten dieses Gesetzes eng verknüpft sind
mit dem Bestände des Staates; das Vaterland erscheint ihm nicht
als ein fremder Begriff, sondern wird ihm zum bewußten Ge-
meinschaftsbesitz, den zu erhalten und zu pflegen jeder als dienendes
Glied berufen ist. So wird nicht ein leerer Hurrapatriotismus an-
gelernt, sondern die Keime echter, begeisterter Vaterlandsliebe in
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung]]
TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T5: [Jahr Recht Person Gemeinde Staat Steuer Familie Kind Lebensjahr Vermögen], T33: [Gott Liebe Mensch Herz Leben Volk Ehre Vaterland gute Zeit]]
153
sie sich nicht weiter um die Verwaltung ihrer Stadt. Das ist
grundfalsch! Jeder muß versuchen, sich mit allen Verwaltungs-
fragen recht genau bekannt zu machen; denn wenn er von nichts
weiß und versteht, kann er nicht mitarbeiten, nicht seinen Rat
geben. Auch ihr wollt später einmal Bürger einer Stadt wer-
den, gar mancher Bürger unserer Stadt. Darum kümmert Euch
beizeiten um all die großen und kleinen Fragen, welche die
Bürgerschaft bewegen. Dann werdet Ihr später Bescheid wissen
und werdet freudig mitarbeiten, wenn es das Wohl Eurer
Stadt gilt!
Zur Wiederholung.
I. Wie wird die Stadt verwaltet?
1. Welche Stellung nimmt der Erste Bürgermeister ein?
2. Welche Ausgabe hat der Magistrat?
3. Welche Befugnisse hat die Stadtverordnetenversamm-
lung ?
4. Die städtischen Beamten.
5. Die Aufsicht über die Stadtgemeinde.
Ii. Wie sind die Bürger an der Stadtverwaltung beteiligt?
1. Die Wahl der Stadtverordneten durch die stimmberech-
tigten Bürger.
2. Die Wahl der Magistratsmitglieder durch die Stadt-
verordnetenversammlung.
Iii. Wie kommt in den städtischen Körperschaften ein Beschluß
zu stände?
Anmerkung.
I. Die geschilderte Verwaltung und Verfassung der Stadt beruht aus der
„Städteordnung für die sieben östlichen Pro-
vinzen mit Ausschluß Vorpommerns" vom 30. Mai
1853. Unter allen Städteordnungen Preußens hat diese die größte Bedeu-
tung, einmal weil sie für den größten Teil der Monarchie gilt, zum an-
dern weil sie die anderen Städteordnungen mehr oder weniger beeinflußt
hat. So hat sie den Städteordnungen für W e ft f a l e n und die R Hein-
provinz zum Vorbild gedient. Doch kann in Westfalen die Bürger-
meistereiverfassung in a l l en Städten eingeführt werden, im Rheinland
bildet sie sogar die Regel. Die Städteordnungen für Schleswig-
tz o l st e i n und für F r a n k f u r t a. Main schließen sich eng an die
für die 7 älteren Provinzen erlassene an. Doch ist statt der Dreiklassen-
ordnung das Wahlrecht durch einen ortsstatutarisch zu bestimmenden
Steuer- oder Vermögenssatz begrenzt, und die staatliche Bestätigung ist auf
Bürgermeister und Beigeordnete beschränkt. In Schleswig-Holstein treten
die Stadtverordneten in der Regel nur in gemeinschaftlicher Sitzung mit
dem Magistrat zusammen. Noch enger an die allgemeinen Grundsätze
schließt sich die für Hessen-Nassau (außer Frankfurt a. Main) er-
lassene Städteordnung an, die auch die Dreiklassenordnung aufgenommen
hat. In den übrigen Landesteilen hat die Gesetzgebung einen selbständigen
Charakter bewahrt. In Neuvorpommern sind unter Feststellung
besonderer Stadtrezesse die alten Verfassungen aufrechterhalten; die Bürger-
tz
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T44: [Sachsen Provinz Preußen Königreich Hannover Bayern Staat Hessen Baden Land], T45: [Kind Lehrer Wort Schüler Buch Unterricht Schule Frage Buchstabe Zeit], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T99: [Stadt Verwaltung Provinz Gemeinde Beamter Kreis König Spitze Land Angelegenheit], T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T174: [Preußen Sachsen Hannover Holstein Provinz Königreich Staat Oldenburg Braunschweig Dänemark]]
Extrahierte Ortsnamen: Hein- Westfalen Rheinland Schleswig- Main Schleswig-Holstein Hessen-Nassau Frankfurt Main
320
König Friedrich Wilhelm I. als Volkswirt.
Als Friedrich Wilhelm I. den Thron bestieg, stand es um die Finanzen
des Staates infolge der Erhebung Preußens zum Königreich und der wenig
ergiebigen Verwaltung der königlichen Güter oder Domänen keineswegs
gut. Ls war daher nötig, daß Ordnung und Sparsamkeit eingeführt
wurde. Der König setzte die Ausgaben des Hofstaates unverzüglich auf
ein Fünftel seiner früheren höhe herab. Silberne Kronleuchter und Tafel-
aufsätze schickte er in die Münze, und allen Luxus schaffte er ab. Täglich
ließ er sich den Küchenzettel vorlegen und strich zu teure Speisen; für
wirklich nützliche Ausgaben aber, welche die Wohlfahrt des Landes förderten,
hatte und gab er immer Geld.
Bisher waren die königlichen Güter als Privateigentum der könig-
lichen Familien betrachtet, ihr Wert durch Zerstückelung und erbliche Ver-
pachtung vermindert und ihre Erträge für den Hofstaat verbraucht worden.
Gleich zu Anfang seiner Regierung verfügte Friedrich Wilhelm I. durch ein
Hausgesetz, daß die Domänen unveräußerlich seien, und erklärte das
Privateigentum des hohenzollernschen Hauses für Staatsgut. Damit gab
er ein in jener Zeit unerhörtes Beispiel der Unterordnung unter das Ge-
meinwesen. Folgerichtig ordnete nun auch der König die Verwaltung der
gesamten Krongüter einer obersten Staatsbehörde unter, die er ins Leben
rief. Sn der Einsamkeit seines Jagdschlosses entwarf er, ohne einen Minister
zu Kate zu ziehen, das Gesetz, durch welches er das „General-Gberste-
Finanz-, Krieges- und Domänen-Direktorium" oder kurz das ,,Generab
Direktorium" als höchste Behörde einsetzte, in welcher die verschiedenen
Behörden, die bis dahin bestanden hatten, vereinigt wurden. Nur die
Oberrechnungskammer wurde dieser Zentralbehörde zum Zwecke strenger
Beaufsichtigung zur Seite gestellt. Der König führte im General-Direktorium
selbst den Vorsitz, und die Mitglieder teilten unter sich die Geschäfte nach
Fächern und Provinzen. Minister wie Räte mußten im Sommer um 7,
im Winter um 8 Uhr zu den Sitzungen erscheinen. War ein Minister
ohne Entschuldigung eine Stunde zu spät zur Stelle, so hatte er eine Geld-
strafe von 100 Dukaten zu erlegen; wer zweimal ohne Erlaubnis fehlte,
hatte Absetzung zu gewärtigen. Sn den Sitzungen sollte jedesmal „alle
und jede Sache abgetan werden, damit nicht ein Zettel davon übrig bleibe".
So gewöhnten sich die Beamten an feste Ordnung, unablässige Tätigkeit
und sorgsame Überwachung. Die Grundsätze, die der König für alle
Amtstätigkeiten aufstellte, sind bis heute unverändert geblieben. Er forderte
von den Beamten mit aller Strenge pflichttreue und Gehorsam, Tugenden,
die er selbst im höchsten Maße besaß und übte, und durch die das preußische
Beamtentum bald den ersten Rang einnahm. Die peinlichste Sorgfalt und
Pünktlichkeit, die Aufbietung aller Kräfte, strenge Ordnung und Ünbestech-
lichkeit sollten jeden preußischen Beamten auszeichnen.
Friedrich Wilhelm I. war ein guter Landwirt; das bewies die
musterhafte Bewirtschaftung und Verwaltung der Domänen am besten.
Sn Ostpreußen lagen noch große Landstrecken wüst. Dorthin verpflanzte
der König Bauernfamilien aus dem Magdeburgischen und der Grafschaft
Mark; auch erließ er in öffentlichen, selbst ausländischen Blättern Auf-
forderungen zur Einwanderung. Denen, die der Einladung Folge leisteten,
sagte er Befreiung vom Kriegsdienst und von Abgaben und Lieferung von
Bauholz, Kalk und Steinen zu. Eine großartige Unternehmung war die
Urbarmachung des Havel- und Khinbruchs, welcher mehr als 1000 qkm
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T87: [Tag Tisch Haus Frau König Mann Gast Herr Hand Abend], T38: [Friedrich Wilhelm König Kaiser Iii Prinz Jahr Preußen Vater Sohn], T71: [Mann Volk Leben Sitte Zeit Vater Liebe Frau König Jugend]]
TM Hauptwörter (200): [T99: [Stadt Verwaltung Provinz Gemeinde Beamter Kreis König Spitze Land Angelegenheit], T39: [Million Mark Geld Jahr Summe Steuer Thaler Staat Ausgabe Einnahme], T166: [Mann Volk Sitte Zeit Geist Tapferkeit Wesen Leben Sinn Charakter], T98: [König Jahr Mitglied Verfassung Regierung Republik Präsident Kammer Gewalt Staat], T157: [Friedrich Wilhelm Iii Kaiser König Karl groß Preußen Kurfürst Jahr]]
Extrahierte Personennamen: Friedrich_Wilhelm_I. Friedrich Wilhelm_I. Friedrich Wilhelm_I. Friedrich Wilhelm_I. Friedrich Wilhelm_I.
334
Soziale Fürsorge im Deutschen Reiche.
ihrer Beauftragten Verschulden ein Mensch getötet oder verletzt würde. Allein
dieses Gesetz gab Anlaß zu langwierigen Prozessen und war schließlich ohne
Nutzen sür die Arbeiter, wenn der Unternehmer nicht die Mittel besaß, dem
verunglückten Arbeiter die Schadenersatzsumme zu zahlen. Auch die Versuche
einsichtiger Arbeiter, sich durch Gründung von Kranken- und Hülfskassen für
die Zeiten der Not und Krankheit zu sichern, erreichten für die Allgemeinheit
nur wenig, da ihnen nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Arbeiterschaft
bei trat.
Da nahm Kaiser Wilhelm I. und sein großer Kanzler die Aufgabe
in Angriff, durch Schaffung neuer Gesetze für das Wohl der gewerblichen
Arbeiter und ihrer Familien zu sorgen. Es war am 17. November 1881,
als der große Kaiser durch seine Botschaft an den Reichstag die deutsche
Volksvertretung feierlich und eindrucksvoll zur Mitarbeit an dem großen
Werke aufrief, an das sich vor ihm noch kein Herrscher und kein Volk gewagt
hatte. Dieser Tag ist wert, dem Gedächtnis fest eingeprägt zu werden; denn
in den Worten des Kaisers findet sich aufs herrlichste die Verheißung erfüllt,
die über der Verfassung des Deutschen Reiches steht: daß dieses ein ewiger
Bund sein solle „zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes." In der
Botschaft vom 17. Nov. 1881 heißt es:
„Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstag die
Förderung des Wohles der Arbeiter von neuem ans Herz zu legen, und
Wir würden mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen
Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns
gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und
dauernde Bürgschaft seines inneren Friedens und den Hülfsbedürftigen
größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch
haben, zu hinterlassen."
Nun begann im Schoße des Bundesrates und des Reichstages eine
rege Tätigkeit. Nach gründlichen Vorarbeiten und sorgsamer Durchberatung
kam als erster Teil der sozialen Gesetzgebung das Krankenversicherungs-
gesetz vom 15. Juni 1883 (s. Nr. 163) zu stände, welches bald durch das
Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 (s. Nr. 168) ergänzt
wurde.
Das Werk der Arbeiterversicherung zu einem Abschluß zu bringen,
war Kaiser Wilhelm I. nicht vergönnt. Auch sein Sohn, Kaiser Fried-
rich Iii-, vermochte die Gesetzesarbeit nicht weiter zu fördern; er starb nach
kurzer, leidensvoller Regierung. Dagegen nahm Kaiser Wilhelm Ii.
mit seiner ganzen jugendlichen Tatkraft das große Friedenswerk auf und
förderte es zu einem vorläusigen Abschluß durch das Gesetz über die In-
validitäts- und Altersversicherung vom 22. Juni 1889 (vgl. Nr. 168).
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T25: [Kaiser König Reichstag Recht Reich Verfassung Staat Regierung Jahr Fürst], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
TM Hauptwörter (100): [T60: [Preußen Reich Staat Bund Kaiser deutsch Reichstag König Deutschland Regierung], T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T17: [Gott Herr Mensch Wort Leben Herz Welt Hand Vater Himmel], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele]]
TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T151: [König Volk Kaiser Reich Fürst Land Gott Wilhelm Deutschland Frieden], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung], T157: [Friedrich Wilhelm Iii Kaiser König Karl groß Preußen Kurfürst Jahr], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht]]
Extrahierte Personennamen: Wilhelm_I. Wilhelm_I. Wilhelm
836
Soziale Fürsorge im Deutschen Reiche.
den Dienst des Gesamtwohles, wodurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
des Reiches gesteigert und der Wohlstand des ganzen Volkes gefordert wird.
In derselben Richtung wirken die Gesetze, zu denen Kaiser Wilhelm Ii.
den Anstoß durch einen Erlaß gab, den er am 4. Februar 1890 an den
preußischen Handelsminister richtete, und durch den er der Gesetzgebung eine
neue, große Aufgabe zuwies. Darin sagte unser Kaiser u. a. folgendes:
„So wertvoll und erfolgreich die zur Verbesserung der Lage des Ar-
beiterstandes bisher getroffenen Maßnahmen sind, so erfüllen dieselben doch
nicht die ganze Mir gestellte Aufgabe. Neben dem weiteren Ausbau der
Arbeiter-Versicherungsgesetzgebung sind die bestehenden Vorschriften der Ge-
Werbeordnung über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter einer Prüfung
zu unterziehen, um den auf diesem Gebiete laut gewordenen Klagen und
Wünschen, soweit sie begründet sind, gerecht zu werden. Eine der Aus-
gaben der Staatsgewalt ist es, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit
so zu regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die Gebote der Sittlichkeit,
die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetz-
liche Gleichberechtigung gewahrt bleiben."
Zur Ausführung der in dem kaiserlichen Erlaß Ausgesprochenen Grund-
sätze erging schon am 29. Juli 1890 das Gesetz über die Gewerbege-
richte ff. Nr. 179), wodurch zur Austragung der aus dem Arbeitsverhältnis
entstehenden Rechtsstreitigkeiten ein besonders rasches und billiges Verfahren
vor besonderen Gerichten geschaffen wurde, in denen stets sowohl ein Arbeitgeber
wie auch ein Arbeitnehmer bei der Entscheidung mitwirkt, also eine sachver-
ständige Beurteilung der vorkommenden Streitigkeiten gewährleistet ist.
Das zweite und wichtigste Gesetz auf diesem Gebiete ist das sogenannte
Arbeiterschutzgesetz vom 1. Juni 1891 Eigentlich ein Nachtragsgesetz
zur Gewerbeordnung). Hierin wurde der Grundsatz aufgestellt, daß am
Sonntag soweit als möglich die Arbeit ruhen solle; es wurden Bestimmungen
gegen die übertriebene Ausnutzung jugendlicher und weiblicher Arbeiter er-
lassen; die Gewerbeunternehmer wurden verpflichtet, die Arbeisräume, Betriebs-
vorrichtungen, Maschinen und Gerätschaften so einzurichten, daß die Arbeiter
gegen Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst geschützt siud ff. Nr. 39);
es wurden endlich besondere Beamte, Gewerberäte und Gewerbeinspektoren
eingesetzt, welche die Durchführung dieser Vorschriften, wie auch die Einrich-
tung der Werkstätten, die Arbeitsordnung u. dgl. zu überwachen haben.
Um einer übermäßigen Ausnutzung der in offenen Verkaufsstellen tätigen
Personen vorzubeugen, wurde durch ein weiteres Nachtragsgesetz zur Gewerbe-
ordnung vom Jahre 1900 bestimmt, daß offene Verkaufsstellen in der Regel
von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens für den geschäftlichen Verkehr ge-
schloffen sein müssen. Die am 1. Januar 1910 in Kraft getretene Novelle
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
TM Hauptwörter (100): [T72: [Bauer Arbeiter Steuer Jahr Stadt Staat Abgabe Gemeinde Land Verwaltung], T41: [Staat Recht Volk Adel König Land Verfassung Gesetz Stand Verwaltung], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T68: [Gericht Recht Richter König Strafe Gesetz Urteil Sache Person Verbrechen]]
TM Hauptwörter (200): [T52: [Arbeiter Arbeit Zeit Betrieb Jahr Fabrik Maschine Staat Preis Kapital], T7: [Staat Gesetz Verfassung Recht Reichstag Reich König Regierung Volk Verwaltung]]